13.5.2017;
Nach zwei Tagen und zwei Nächten wird
es Zeit, mein Berliner Zuhause und somit A. erneut zu verlassen, es
ist Samstagnachmittag und ich gehe sehr pünktlich los, ich brauche
jetzt auch nicht mehr so lange nach unten, da ich ja nur noch einen
kleinen Handgepäckkoffer bei mir habe und keine 40kg Gepäck. Als
ich unten ankomme sehe ich, wie die ältere Dame aus dem Hochparterre
versucht, mit ihrem Rollator die Eingangstür aufzubekommen. Ich eile
ihr zu Hilfe und halte die Tür auf, bis sie es nach draußen
geschafft hat. Das dauert leider so lange, dass ich meine U Bahn
verpasse. Glücklicherweise dauert es nur weitere vier Minuten, bis
die nächste U7 einfährt und ich mich auf den Weg nach Rudow machen
kann. In der Bahn schaue ich nochmal nach, wann ich mit dieser
Verbindung am Flughafen ankomme, da ich ja nun inzwischen doch etwas
knapp dran bin.
17.10 Uhr komme ich laut App am
Terminal an – 30 Minuten bevor Gate und Boarding schließen. „Etwas
knapp, aber machbar.“, denke ich. Der Vorteil am Reisen mit
Handgepäck ist halt einfach, dass man sich das lästige Einchecken
am Flughafen sparen kann. Ich schreibe A., dass ich hoffe, dass an
der Securityschlange nicht so viele Leute stehen und ich fix
durchkomme. „Ich drück dir die Daumen.“, schreibt er zurück.
In Rudow muss ich nur wenige Minuten auf den Bus warten und steige nach kurzer Zeit ein. „It's time to go, please make your way to gate 65“ erscheint auf meinem Handy.
In Rudow muss ich nur wenige Minuten auf den Bus warten und steige nach kurzer Zeit ein. „It's time to go, please make your way to gate 65“ erscheint auf meinem Handy.
Wenige Minuten später sind wir endlich
nicht mehr allzu weit von Schönefeld entfernt, wir passieren die
Stadtgrenze Rudow und kurz darauf bleibt der 171 einfach stehen.
„Komisch“, denke ich. „die reguläre Haltestelle liegt doch
bereits hinter uns.“
Ich muss gar nicht aus dem Fenster
schauen um zu sehen, dass etwas nicht stimmt. Die Reflektion des
Blaulichts streift in regelmäßigen Abständen mein Gesicht.
Natürlich ist mein Bus voll mit Gaffern, die sofort aufspringen,
ihre neugierigen Nasen an den dreckigen Scheiben plattpressen und
versuchen zu erspähen, was da draußen so vor sich geht.
Es ist mir total egal, was da draußen vor sich geht, ich will einfach nur, dass der Bus weiterfährt und ich meinen Flieger noch erwische. Natürlich hoffe ich auch, dass außerhalb des Busses niemand verletzt oder plattgefahren auf der Straße liegt.
Es ist mir total egal, was da draußen vor sich geht, ich will einfach nur, dass der Bus weiterfährt und ich meinen Flieger noch erwische. Natürlich hoffe ich auch, dass außerhalb des Busses niemand verletzt oder plattgefahren auf der Straße liegt.
„Der Bus fährt nicht weiter, Straße
ist abgesperrt, Polizei ist da“ tippe ich. A. textet sofort zurück
und fiebert mit mir mit. Während die Gaffer noch immer an der
Scheibe kleben, obwohl man außer einem Polizeiauto offensichtlich
nichts sehen kann, überlege ich, was ich jetzt tun soll. Gerade als
ich darüber nachdenke, den Busfahrer zu bitten, die Türen zu
öffnen, kommt eine Durchsage: „Dit jeht jetzt hier erstmal ne
Weile nich weita wa.“, sagt er und öffnet die Türen. Ich greife
mir meinen Koffer und springe aus dem Bus. Als ich den schmalen
Gehweg langhetze, sehe ich ein umgekipptes Auto mitten auf der Straße
liegen. „Scheiße“, denke ich, bin aber erleichtert, nirgendwo
Blut oder einen Leichensack zu sehen.
Als ich nach vorne schaue, sehe ich
erst, wie weit der Flughafen noch weg ist. Noch bevor ich anfange zu
rennen, schießt mir die Hitze ins Gesicht und mein Herz beginnt zu
rasen. Urplötzlich kommt mir mein alter Sportlehrer in den Sinn -
als ich mit 21 jungen Jahren damals keine zwei Minuten am Stück
laufen konnte und fast in der Halle zusammenbrach, legte er
kopfschüttelnd seine Hand auf meine Schulter und sagte: „Sie
werden mit 30 nicht mehr allein in einen Bus einsteigen können.“
Damals habe ich gelacht, heute denke ich, er hat vielleicht Recht.
Es ist 17.17 Uhr als ich anfange zu
rennen, oder zumindest so schnell vor mich hin zu stolpern, wie es
halt geht. 17.27 Uhr erreiche ich nach 1,7km das Terminal und bin
schweißüberströmt, am Einlass zur Security Control steht niemand
an. „So jeht dit aber nich, Frollein!“, tönt es, als ich gerade
mehr oder weniger elegant versuche, unter der Absperrung
durchzuklettern um den Weg abzukürzen. Ich werfe ihm einen Blick zu
der sagt, dass das absolut nicht witzig ist. „Dit is keen Witz,
Frollein!“ sagt er. Leider lacht er dabei nicht. Ich denke, ich
spinne und mir fällt vor lauter körperlicher Erschöpfung kein
intelligenter Konter ein. Ich entscheide mich mutig dafür, vor
seinen Augen trotzdem die Abkürzung zu nehmen und renne einfach so
schnell ich kann zur Sicherheitskontrolle weiter. Als ich mich
umdrehe, sehe ich, wie er mir durch die Scheibe einen Vogel zeigt.
Ich bin schon versucht, ihm einen zurückzuzeigen, als mir einfällt,
dass man es sich am Flughafen vielleicht besser nicht mit dem
Personal verscherzt. Ich drehe mich einfach um und sehe dabei dem
nächsten Problem ins Auge. Es ist nur eine einzige
Sicherheitskontrolle offen und vor mir stehen locker 15 Leute. Ich
zittere am ganzen Körper und spüre eine leichte Panik aufsteigen.
In zehn Minuten schließt das Boarding für meinen Flug und ich bin
noch nicht mal im Sicherheitsbereich. Durch die Anstrengung treten
mir Tränen in die Augen und mit voller Verzweiflung in der Stimme
frage ich, ob mich jemand vorlassen würde. Ich erwarte Reaktionen
wie „Na wärste halt ma früher herjekomm'n, denn passiert sowat
ooch nich wa.“ oder „Jajaja, zu spät komm'n und denn noch
vordrängeln wa.“.
Doch vor mir teilt sich die Menge und alle lassen mich einvernehmlich vor, ich kann mein Glück kaum fassen und mir kullert eine Träne die Wange hinunter. Vor Freude, natürlich. Ich knalle meinen Koffer aufs Band, schmeiße den Laptop und meinen Beutel mit den Flüssigkeiten in die dafür vorgesehenen Schalen und trete durch den Detektor. Natürlich piepse ich und werde ausgiebig kontrolliert. Für die Schnalle an meinem Gürtel interessieren sich wieder alle, dass ich aber 10 Gelkapseln mit Waschmittel in meinem Koffer dabei hab, ist scheinbar in Ordnung.
Nachdem ich all mein Zeug vom Band
gesammelt hab, renne ich durchs Terminal, natürlich ist Gate 65 das
vorletzte und somit doch relativ weit von mir entfernt.
„This is the final call for
passengers on flight EZY8214 to London Gatwick!“, höre ich es
durch die Lautsprecher schallen und weiß, dass man beim Final Call
nicht nur etwas spät sondern so richtig spät ist. Die große Uhr an
der Wand weist mich mit lautem Klicken darauf hin, dass mir noch 60
Sekunden bleiben, ich weiß nicht, woher ich die Energie nehme, meine
Puddingbeine die letzten 10 Gates zum Rennen zu bewegen, aber
irgendwie komme ich an. Ich klatsche meinen Pass auf den Tresen und
ringe um Luft, während der Polizist länger als nötig das Photo mit
dem verschwitzten Original vergleicht. Ich schleppe mich die letzten
drei Meter Richtung Flugsteig und werde natürlich prompt
aufgefordert, meinen Koffer noch aufzugeben, da schon alles voll sei.
Mir ist im Moment eigentlich alles
egal, ich will nur wieder atmen können und an Bord des Fliegers
gehen. Hektisch krame ich die wichtigsten Sachen aus meinem Koffer
und schmeiße alles in meinen kessen Jutebeutel. Ich wanke Richtung
Flugzeug und stolpere irgendwie die Treppe hoch.
Auf dem Weg zu meinem Platz durchbohrt
ein stechender Schmerz meine Lendengegend. „Scheiße“, denke ich.
Smoothie und Mate sind wohl durchgelaufen und wollen raus. Da ich eh
schon die letzte bin, gebe ich nun alles um mich weiter unbeliebt zu
machen. Ich lege meinen Kram auf meinem Sitz ab und gehe
schnurstracks weiter zur Toilette. Nach dem Verriegeln der Tür
erschrecke ich mich kurz, als ich mein Spiegelbild sehe. Um den
Flugbetrieb nicht weiter aufzuhalten, beschließe ich, mich dann
später auf meinem Platz nachzuschminken und pinkel einfach nur
schnell.
Die augenrollenden Leute auf dem Weg
zurück ignoriere ich gekonnt und lasse mich in meinen Sitz fallen.
Ich schnalle mich an und schmeiße meinen Beutel unter den
Vordersitz. Wir rollen schon langsam Richtung Startbahn als ich A.
noch schnell ein „Ich liebe dich!“ schicke, dann schalte ich mein
Telephon in den Flugmodus und atme tief durch.